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Mengia Caflisch

Auf den Spuren eines Geheimdienst-Coups

Mengia Caflisch

Worum geht es?

Das in Zug ansässige Unternehmen Crypto AG, das Geräte zum Verschlüsseln von Nachrichten produzierte, steckte mit dem US-Auslandsgeheimdienst und dem deutschen Bundesnachrichtendienst unter einer Decke. Die bei der Crypto AG angestellte hochqualifizierte Kryptologin und Elektroingenieurin Mengia Caflisch wusste von den abgeschlossenen Geheimabkommen nichts, erkannte aber die Mängel am verwendeten Verschlüsselungssystem. Welche Absichten steckten hinter den Machenschaften des schwedischen Gründers Boris Hagelin und der ausländischen Geheimdienste? Wer wusste in der Schweiz wie viel über die 2020 schliesslich aufgedeckte «Crypto-Affäre»?

Quellen und Meinungen

Die Verwicklung der Schweizer Regierung in die «Crypto-Affäre» – Recherchen von Res Strehle

SAufgrund des geheimen Minerva-Dokuments, anderer Dokumente und von Zeugenaussagen Betroffener tauchen im Quittenland [Quitte: Deckname im Minerva-Dokument für die Schweiz] rund ein Dutzend Personen auf, die über das Joint Venture von BND [Bundesnachrichtendienst, Deutschland] und CIA ab 1970 informiert waren: die Bundesräte Kaspar Villiger und Arnold Koller, auf Justizseite der ehemalige Bundesanwalt Hans Walder, in der Armeeführung der Kommandant der Flieger- und Flabtruppen Kurt Bolliger, der Chef des Flieger- und Flab-Nachrichtendienstes Rene Lecher sowie auf Firmenseite die jeweiligen Geschäftsführer und Entwicklungschefs, ein Kryptologe und zwei Verwaltungsräte. Ausser dem damaligen CRYPTO-Geschäftsführer Michael Grupe hat dies keiner bestätigt. Am zweitnächsten zu einer Bestätigung kam die Aussage von Alt-Bundesrat Villiger auf Anfrage verschiedener Medien, die Darstellung des CIA-Berichts sei in dieser Form nicht richtig und er hätte über das Projekt keine detaillierten Kenntnisse gehabt.

Es wäre ja auch seltsam und geradezu ein Armutszeugnis, wenn die Schweiz keine Kenntnis gehabt hätte vom grössten Projekt der westlichen Nachrichtendienste auf ihrem Boden. Sie erhielt in jener Zeit mehrfach Hinweise von Betroffenen. Ab 1977 und dann wieder 1994 ermittelte die Bundespolizei zweimal während mehrerer Jahre, aber angeblich ergaben diese Voruntersuchungen weder Beweise für manipulierte Geräte noch Hinweise auf die [ausländischen] Geheimdienste als Eigentümer. […]

Nachdem die Firma 1970 von den neuen Eigentümern übernommen wird, machen sich die Schweizer Bundespolizei und ‹Siegfried› [der damalige stellvertretende Chef der Bundespolizei] zu willfährigen Helfern des deutschen Verteidigungsministeriums. Der BND stört sich daran, dass kurz nach der Übernahme ein deutscher Techniker [bei der Crypto AG] eingestellt wird, der im Prüffeld der Geräte tätig ist. Der Techniker ist mit einer Ostdeutschen verheiratet und dies erachtet das deutsche Verteidigungsministerium als Sicherheitsrisiko. Ohne Vorankündigung wird Axel Bochmann [der Techniker] eines Tages in einen separaten Raum der Firma geführt und von zwei Vertretern der Schweizer Bundesanwaltschaft einvernommen. Obwohl sich der Verdacht als haltlos erweist, fordert der Schweizer Vizedirektor [der Crypto AG] Stürzinger den Techniker im militärischen Ton zur Abgabe der Schlüssel auf und entlässt ihn nach einem halben Jahr in der Firma Knall auf Fall. […]

Wieweit ‹Siegfried› die Armeeführung über sein Wissen auf dem Laufenden hält, ist offen. […] Als Offizier mit breitem Wissen über die Kryptologie ist [Stürzinger] ein wichtiger Mann für die Übermittlungstruppen. ‹Kamerad Stürzinger› gilt als Insider im Kreis der Stiftung Historisches Armeematerial und Führungsunterstützung (Hamfu), die Übermittlungsspezialisten und andere Armeeangehörige mit Hang zur Nostalgie vereinigt und nahe beim Militärdepartement angesiedelt ist. Es ist folglich davon auszugehen, dass die Schweizer Armeeführung wie jene Schwedens von Anfang an über das Projekt in den grossen Zügen informiert ist. […]

Detaillierte Informationen über die Machenschaften der Firma unter Führung von BND und CIA erhält die Armeeführung bereits 1977, als der Chef der Entwicklungsabteilung, Peter Frutiger, aus der Firma ausscheidet und sein Wissen an zwei hohe Armeeoffiziere und einen ehemaligen Bundesanwalt weitergibt. Es ist undenkbar, dass diese pflichtbewussten Staatsdiener ihr Wissen nicht nach oben weitergeben. Daraus erklärt sich auch, warum die Untersuchungen der Bundespolizei in der Folge sang- und klanglos eingestellt werden.

Mit grösster Wahrscheinlichkeit ist aber nie der gesamte Bundesrat über das Minerva-Projekt informiert worden. […]

Für die VBS-Vorsteher gilt stets das Prinzip ‹Don’t ask, don’t tell›. Solange sie nichts Genaues über das Minerva-Projekt wissen, sind sie dafür auch nicht mitverantwortlich zu machen. [Bundesrat Schmids] Parteikollege Christoph Blocher meint als Reaktion auf die Cryptoleaks-Enthüllungen im Februar 2020 auf seinem TV-Kanal, man habe das immer gewusst.

Man heisst in seinem Fall: er.

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Mengia Caflisch blickt auf ihre Zeit in der Crypto AG zurück

Ich habe die CRYPTO nicht nur mit dem Gefühl verlassen, am falschen Ort gewesen zu sein, sondern auch mit Selbstzweifeln und etwas vereinsamt. […] Ich bin wahrscheinlich auch zur Genugtuung vieler gegangen: Derer, die mich möglicherweise in Schach halten mussten; derer, die sich von mir belehrt fühlten; der vielen, die meiner Arbeitsweise mit systematisierten Szenarien und Sicherheitszielen nichts abgewinnen konnten; der Opportunisten und Wichtigtuer, die sich gegenseitig gestützt haben und von der Überlegenheit der Firma schwärmten; und der Braven, die in Ruhe gelassen werden wollten. Natürlich war ich irgendwie erleichtert, aber da mischt sich auch Traurigkeit über den nicht gelungenen Abschied rein.

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Beurteilung eines Professors für Völker- und Staatsrecht

Aus einem Interview mit Prof. Dr. iur. Oliver Diggelmann der Universität Zürich, 2020:

Nehmen wir zwei aktuelle Fälle, die neutralitätspolitisch zu reden geben. Erstens die Crypto-Affäre: Die amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA sowie der deutsche Bundesnachrichtendienst lieferten über eine Tarnfirma in der Schweiz manipulierte Chiffriergeräte an über hundert Staaten – ‹security Swiss made›. Wie beurteilen Sie das?

Die Schweiz verletzte hier nach meiner Einschätzung das Neutralitätsrecht. Ein dauerhaft neutraler Staat darf in einem Konflikt zwischen zwei Staaten nicht als quasi automatisch Verbündeter eines anderen Staates erscheinen, und die Schweiz war hier Handlanger amerikanischen Ausspionierens potenzieller Kriegsgegner.

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